Komplementär-­ und Alternativmedizin (CAM) spielt eine wichtige Rolle in Europas Gesundheitswesen – aber es gibt zu wenig gesichertes Wissen darüber

29.11.2012
Cambrella
Wissenschaftler des EU–Projektes CAMbrella fordern eine gemeinsame europäische Forschungsstrategie in der „Roadmap for European CAM research“.

Brüssel, 29. November 2012 – CAMbrella, das EU-geförderte Forschungsnetzwerk für Komplementär- und Alternativmedizin (CAM), präsentiert heute die Ergebnisse seiner dreijährigen Arbeit in der Vertretung des Freistaats Bayern bei der Europäischen Union in Brüssel. Die CAMbrella-Forscher bestätigen, dass das Wissen, das Angebot und die Regulierung der Komplementärmedizin in Europa sehr unterschiedlich sind und dass CAM ein stark vernachlässigtes Forschungsgebiet ist. Europa ist, verglichen mit den finanziellen und strukturellen CAM-Investitionen zur Forschungsförderung in den Vereinigten Staaten, Asien und Australien, im Hintertreffen. Eine zentrale und koordinierte Forschungsanstrengung ist daher dringend erforderlich, um das Wissen über dieses Medizingebiet zu verbessern. Die CAMbrella-Gruppe fordert daher ein koordiniertes gesamteuropäisches Vorgehen und hat Vorschläge dazu in der „Roadmap for European CAM research” erarbeitet.

Die Nachfrage nach CAM in Europa ist groß: Das CAMbrella-Projekt stellte fest, dass bis zu 50 Prozent der europäischen BürgerInnen CAM-Methoden benutzen. In seinem Referat bei der Abschlusskonferenz in Brüssel sagte der Projektkoordinator Dr. Wolfgang Weidenhammer vom Kompetenzzentrum für Komplementärmedizin und Naturheilkunde des Klinikums rechts der Isar der TU München: „Die Bürger sind der Motor für CAM. Ihre Bedürfnisse und Meinungen sind die Schlüsselpriorität; wir müssen die Interessen der europäischen BürgerInnen besser kennen und sie in der Forschung stärker berücksichtigen.”

Mehr als 150.000 Ärzte mit einer Zusatzqualifikation in CAM und mehr als 180.000 nicht-ärztliche Therapeuten praktizieren CAM-Methoden in Europa; d. h. es gibt etwa 65 CAM-Anbieter pro 100.000 Einwohner verglichen mit ca. 95 Ärzten pro 100.000 Einwohner – allerdings unterscheiden sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Ausübung von CAM in allen 39 europäischen Ländern. Prof. Vinjar Fønnebø von der Universität Tromsø, Norwegen, kommentiert: „Gesundheitsanbieter müssen ihren Patienten und Klienten sichere Dienstleistungen anbieten können. Das gegenwärtige Chaos bei Ausbildungen und Rahmenbedingungen für CAM macht dies sehr schwierig.”

Massive Datenlücken für CAM in Europa

Europa hat sich bisher nur unzureichend mit diesem Feld der Medizin befasst. Verwertbares Wissen über die Verbreitung von CAM als Medizindienstleistung für die europäischen Bürger und Patienten ist größtenteils nicht vorhanden. Weder sind in den meisten europäischen Ländern bisher die Bedürfnisse der BürgerInnen in Bezug auf das CAM-Angebot erhoben worden noch gibt es gesichertes Wissen über die Situation der Anbieter.

Was ist CAM?

CAM ist ein Sammelbegriff für Behandlungsmethoden, die meist außerhalb der konventionellen Medizin in Anspruch genommen werden. Methoden wie Phytotherapie, Homöopathie, Manuelle Therapien (Massage, Osteopathie und Reflexologie) oder Akupunktur, um nur die Bekanntesten zu nennen, werden in der Behandlung chronischer Erkrankungen, Krankheitsprävention und der Gesundheitsvorsorge angewandt. CAM umfasst aber auch in einigen europäischen Ländern weniger bekannte Methoden wie z. B. anthroposophisch erweiterte Medizin, klassische Naturheilverfahren oder Neuraltherapie.

Forderungen an die EU: „Roadmap for European CAM research“

Die CAMbrella-Gruppe fordert die EU auf, europäische CAM-Forschungsprogramme und -initiativen zu implementieren, die die generell unklare Situation dieses Gebietes ins Auge fassen und sich an den tatsächlichen medizinischen Versorgungsbedingungen in Europa orientieren, wie Prof. Dr. Benno Brinkhaus vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité - Universitätsmedizin Berlin und Leiter der Arbeitsgruppe Roadmap ausführt: „Wenn CAM ein Teil der Lösung der Probleme im Gesundheitssystem sein soll, die in den kommenden Jahren auf uns zukommen, müssen wir dringend zuverlässige Informationen über Wirksamkeit, Sicherheit und Kosten in den realen Versorgungsbedingungen sammeln und analysieren.“
Die Projektgruppe schlägt die Errichtung eines europäischen Zentrums für CAM vor, das die von CAMbrella empfohlene Forschungsstrategie berücksichtigt. Ein solches Zentrum würde den Forschern die Beantwortung der drängendsten Fragen möglich machen: Wer benutzt CAM in Europa und wofür? Welche CAM-Methoden versprechen den größten Nutzen für die zentralen Gesundheitsprobleme Fettleibigkeit, Diabetes und Krebs? Wie kann die Sicherheit von Patienten gewährleistet werden? Welche Bedürfnisse haben EU-Bürger? Welche Chancen und Risiken bestehen bei der Integration von CAM in konventionelle Behandlungspläne? Was ist bei der Planung eines einheitlichen, wissenschaftsbasierten Vorgehens und bei der koordinierten Verbreitung der Ergebnisse in allen Bereichen der EU-Öffentlichkeit zu beachten?
„Die Vision von CAMbrellas Roadmap ist es, zu einer evidenzbasierten Grundlage beizutragen, die den europäischen Bürgern und Politikern ermöglicht, fundierte Entscheidungen zu CAM zu treffen“, fasst Prof. Dr. Benno Brinkhaus die Ziele des Projekts zusammen.

„Dem CAMbrella-Projekt kommt somit eine zentrale Bedeutung für die Komplementärmedizin und die Gesundheitsversorgung in Europa zu“, resümiert der Projektleiter Dr. Weidenhammer, „es kommt nun darauf an, die Ideen und Vorschläge umzusetzen und dazu bedarf es dringend einer europäischen Förderung.“

Zur Bayerischen Forschungsallianz (BayFOR)

Die BayFOR berät und unterstützt Wissenschaftler aus bayerischen Hochschulen und Akteure aus der Wirtschaft umfassend beim Einwerben von europäischen Forschungsgeldern mit dem Ziel, den Wissenschafts- und Innovationsstandort Bayern im Forschungsraum Europa fortzuentwickeln. Der Schwerpunkt liegt auf dem aktuellen Forschungsrahmenprogramm (FP7) und Horizon 2020, dem künftigen Rahmenprogramm für Forschung und Innovation der EU. Im europäischen Beratungsnetzwerk für KMU, dem „Enterprise Europe Network“ (www.een-bayern.de), fungiert sie als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Daneben koordiniert die BayFOR die gemeinsamen Aktivitäten der Bayerischen Forschungsverbünde und unterstützt ihre Vernetzung auf europäischer Ebene. Sie beheimatet zudem die Wissenschaftliche Koordinierungsstelle Bayern-Québec/Alberta/International der Bayerischen Staatsregierung. Die BayFOR ist eine Partner-Organisation im bayerischen Haus der Forschung (www.hausderforschung.bayern.de) und wird vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst gefördert. Beim EU-Projekt CAMbrella leistete die Bayerische Forschungsallianz Unterstützung bei der Antragstellung im FP7 und übernahm während der Laufzeit das Projektmanagement. Weitere Informationen finden Sie unter: www.bayfor.org.

Anmerkungen

  1.  „CAM” steht für „Complementary and Alternative Medicine”. CAM setzt sich zunehmend auch im deutschsprachigen Raum als gängige Abkürzung für Behandlungsverfahren durch, die nicht dem Mainstream der Medizin zuzuordnen sind.
  2. In CAMbrella haben 16 Partnerinstitutionen aus 12 europäischen Ländern zusammen gearbeitet und die „Roadmap zur Europäischen CAM-Forschung“ entwickelt. Die Roadmap soll sowohl die Bedürfnisse der europäischen Bürger berücksichtigen als auch eine brauchbare Arbeitsgrundlage für das EU-Parlament, die nationalen Fördergeber sowie CAM-Stakeholder bilden.
  3. Die CAMbrella-Gruppe besteht aus akademischen Forschungsgruppen und vertritt keine einzelnen CAM-Methoden oder Anbieterinteressen.
  4. CAMbrellas Ziel bestand darin, aussagekräftige, vergleichende Forschung und Kommunikation innerhalb Europas zu ermöglichen sowie die Schaffung einer nachhaltigen Struktur und Richtlinien für CAM in Europa zu unterstützen. Die EU-Kommission förderte das Projekt seit Januar 2010 im 7. Forschungsrahmenprogramm mit rund 1,5 Millionen Euro.
  5. Da aus den meisten europäischen Mitgliedsstaaten keinerlei Daten zu den Fragestellungen von CAMbrella vorliegen, konnte nur etwa die Hälfte der insgesamt 39 Mitgliedsstaaten und assoziierten Länder herangezogen werden.
  6. Phytotherapie/Kräutermedizin war die am häufigsten berichtete CAM-Methode. Erkrankungen des Bewegungsapparates (muskuloskeletale Erkrankungen) sind der am häufigsten genannte Grund für den therapeutischen Einsatz von CAM.
  7. Alle vom Projekt erstellten Dokumente werden ab Dezember 2012 laufend auf der Website: http://www.cambrella.eu/documents veröffentlicht. Wenn Sie über neue Uploads informiert werden wollen, können Sie sich hier registrieren: http://www.cambrella.eu/newsletter

Dr. Dr. Wolfgang Weidenhammer ist stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrums für Komplementärmedizin und Naturheilkunde (KoKoNat; Leitung: Prof. Dr. Dieter Melchart) am Klinikum rechts der Isar der TU München. Er koordinierte das Gesamtprojekt CAMbrella.

Prof. Vinjar Fønnebø ist der Direktor des Norwegischen Forschungszentrums für CAM an der Universität Tromsø. In CAMbrella hat er die Arbeitsgruppe zu CAM-Regulierung und gesetzlichen Rahmenbedingungen in Europa geleitet.

Prof. Benno Brinkhaus ist Oberarzt, Leiter der Hochschulambulanz am Standort Mitte und stellvertretender Leiter des Projektbereichs Komplementärmedizin am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité - Universitätsmedizin Berlin. Im CAMbrella-Projekt hat er die Arbeitsgruppe „Roadmap“ geleitet.

(Belegexemplar bei Verwendung erbeten: Bayerische Forschungsallianz, Prinzregentenstr. 52, 80538 München)

Für detaillierte Informationen sowie eine Zusammenfassung der Schlüsselaussagen des Projekts kontaktieren Sie bitte

Kontakt

Bettina Reiter
Wiener Internationale Akademie für Ganzheitsmedizin
telefonisch +43 699 1717 8682 oder per
E-Mail: media@no-spam-pleasecambrella.eu

Kompetente Unterstützung für exzellente Forschung in Bayern, Europa und der Welt

Schnell zum Ziel

Kompetente Unterstützung für exzellente Forschung in Bayern, Europa und der Welt

Logo der Bayerischen Forschungs- und Innovationsagentur